GROSSE ENTTÄUSCHUNG
Warum enden Beziehungen und Freundschaften eigentlich nicht selten in grossen Enttäuschungen?
Wie kann es sein, dass ein Mensch, dem man sich so nahe gefühlt und dem man vertraut hat, sich gegen einen wendet und so sehr verletzt?
Jede*r von uns trägt die Narben solcher Erfahrungen in sich. Nicht selten wachsen sie im Laufe der Jahre zu einem Schutzwall, der uns davor bewahren soll, jemals wieder jemanden so nahe an uns heranzulassen. Dieser Wall ist zunächst eine Überlebensstrategie, die uns in verletzlichen Phasen tatsächlich schützen kann - langfristig macht er uns jedoch auch einsam und dumpf. Wir bezahlen das Gefühl von Nähe und Lebendigkeit, das wir vielleicht in jungen Jahren noch kannten, als Preis für eine vermeintlichen Sicherheit, die dieser Wall uns gibt.
Nähe und Verletzung
Bedeutet das, wir sollten uns einfach wieder allen Menschen so vertrauensvoll öffnen wie wir das vielleicht früher gemacht haben - und Verletzungen als Preis für Nähe akzeptieren?
Ja und nein. Es ist wichtig, nicht blind zu vertrauen, sondern uns vor grenzüberschreitenden oder manipulativen Menschen zu schützen. Doch in Beziehungen zu Menschen, die uns wirklich nahe stehen, lohnt es sich, sich wieder verletzlich zu zeigen.
Verletzung ist dabei nicht einfach der „Preis“ für Nähe. In einer gesunden Beziehung ist sie eine Aufforderung, hinzusehen. Natürlich gilt das nicht für Verletzungen, die durch zB. Missbrauch, Gewalt oder grobe Rücksichtslosigkeit entstehen. Diese sind nicht als Wachstumsimpuls zu deuten, sondern erfordern klare Abgrenzung und gegebenenfalls auch den Abbruch der Beziehung.
Wenn du jedoch nachhaltige Nähe in gesunden Beziehungen schaffen möchtest, geht es darum, Gefühle oder Frust auszusprechen und in den Dialog zu gehen. Jetzt denkst du vielleicht an all die Male, in denen du genau das getan hast - und wie wenig es gebracht hat? Richtig. Es reicht nicht, einfach nur die Gefühle oder den Frust zu kommunizieren, die sich aus einer Situation ergeben.
Es geht darum, das eigentliche Thema dahinter zu erkennen und dich dafür zu öffnen, auch dem Gegenüber wirklich zuzuhören - seine Perspektive einzunehmen, ohne die eigene sofort zu verteidigen.
Alte Prägungen in neuen Konflikten
In fast jedem Konflikt schwingt das Thema „Ablehnung“ mit. Unsere Sicht auf die Gegenwart vermischt sich unbewusst mit alten Verletzungen. Wir sehen im Partner vielleicht den Vater, der uns verlassen hat, oder in einer Freundin die Mutter, die uns nicht die ersehnte Nähe geben konnte - und das völlig unbemerkt!
Die Wucht der Vorwürfe wirkt dann unverhältnismässig - und beide Seiten fühlen sich missverstanden. Genau hier entsteht oft die grosse Enttäuschung: der Moment, in dem Nähe plötzlich wie eine Illusion wirkt und man fälschlicherweise glaubt, nun das wahre Gesicht des anderen zu erkennen.
Der Weg zurück zur Verbindung
Nicht immer geschieht das abrupt. Oft führt ein stilles Aneinander-Vorbeileben zu langsamer Distanz. Wir gewöhnen uns daran - und nehmen die damit verbundene Einsamkeit als etwas hin, das „eben dazugehört“. Doch wenn wir ehrlich sind: das ist traurig.
Umso schöner ist es, dass wir aktiv daran arbeiten können. Indem wir uns unserer eigenen Prägungen bewusst werden und lernen, sie in der Gegenwart zu erkennen. Wir entwickeln mit den wichtigsten Menschen in unserem Leben eine Kultur, in der wir uns ehrlich mitteilen und wirklich zuhören.
So beginnen wir, die dahinter liegenden Themen bei uns selbst und beim Gegenüber zu verstehen - und wir werden bereit, uns diesen zu stellen. Das wird zur Grundlage für echte und nachhaltige Veränderung - denn nur wirkliches Verständnis bringt echte Veränderung mit sich.
Innere Arbeit in Beziehungen
Das ist keine schnelle Lösung. Es braucht Mut, Aufrichtigkeit und Übung. Doch es lohnt sich: innere Arbeit, aktiv gelebt in Beziehungen, ist ein Funke, der sich zu einem läuternden Feuer entwickeln kann - eines, das dich und deine Beziehung nachhaltig und ganz tief zum Positiven verändert!