DER TIEFERE SINN HINTER UNVORHERGESEHENEM

Als ob auf unserer Reise in den Norden Europas nicht schon genug Unvorhergesehenes passiert wäre, haben wir uns diese Woche auch noch mit Corona angesteckt. Wahrscheinlich im Museum oder im Supermarkt - wir wissen es nicht genau. Und dann ging es schnell: Im kleinen Wohnmobil hat es nur wenige Tage gedauert, bis wir schließlich alle so krank waren wie schon lange nicht mehr.

Die Schönheit im Chaos

Das Timing hätte kaum schlechter sein können - denn Selinas Eltern waren auf dem Weg zu uns nach Schweden. Und so mussten wir uns einmal mehr dem Ungewissen hingeben und akzeptieren, dass so vieles einfach nicht in unserer Hand liegt.

In den Fieberträumen ging es dann genau darum. Während der Körper schüttelte und der Hals brannte, legte sich zart eine liebevolle Präsenz in unser Bewusstsein und begann zu uns zu sprechen. Sie zeigte uns unseren alltäglichen Versuch, alles zu kontrollieren - und auch, wie einfältig das Leben werden kann, wenn das gelingt.

Dann zeigte sie uns, wie verspielt und wunderschön vieles wird, wenn wir dem Leben Platz geben, um zu wirken. Wenn wir nicht immer schon im Voraus wissen, wie sich etwas entwickeln wird, und stattdessen zulassen, dass Dinge ganz anders kommen, als wir uns das vorgestellt haben. In anderen Worten: Sie zeigte uns die Schönheit im Chaos.

Natürlich ist das nicht neu für uns. Wir üben uns seit rund eineinhalb Jahrzehnten darin, die Kontrolle loszulassen und immer mehr mit dem Leben mitzugehen, anstatt es beherrschen zu wollen. Und doch merken wir auch heute noch, dass in diesem Learning viel Luft nach oben ist.

Alles macht Sinn

Loslassen hat viel mit Vertrauen zu tun. Denn sich ins Leben loszulassen, gleicht viel mehr einem Boot, in dem man sich vom Fluss tragen lässt, als etwa dem Sprung von einem Turm. Es geht nicht um einen einzigen Moment, in dem man die Augen schließt und mutig einen Schritt tut, sondern um eine Grundhaltung, die sich immer mehr vertieft: eine Haltung des Vertrauens ins Leben selbst.

Auch dieses Vertrauen ist nicht einfach eine Entscheidung, sondern es wächst aus Erfahrung. Je länger man das Leben aufmerksam beobachtet, desto klarer erkennt man, dass alles - wirklich alles - einen tieferen Sinn hat. Das Leben an und für sich ist Sinn. Und deshalb kann man diesen tieferen Sinn auch in jedem Ereignis finden, wenn man tief genug danach sucht.

Die richtige Perspektive

Um den tieferen Sinn im Leben zu erkennen, darf man sich zuerst von der Vorstellung lösen, dass eine höhere Kraft alles bestimmt und Ereignisse geschehen, um uns Lektionen zu erteilen. Eine solche Perspektive ist hinderlich, weil man dann immer versucht, eine bestimmte Kraft (z. B. Gott oder das Universum) zufriedenzustellen, anstatt sich wirklich ganz auf das Leben im hier und jetzt, zu fokussieren.

Ebenso darf man sich von der Idee lösen, dass es gar keinen tieferen Sinn gäbe und das Leben lediglich ein Produkt zufälliger Ereignisse in einem eigentlich leblosen und mechanischen Universum sei. Für diese Annahme gibt es keine haltbaren Beweise – auch wenn das gerne so dargestellt wird. Im Gegenteil: Wer das Leben aufmerksam beobachtet, erkennt, dass viel zu viele Dinge viel zu sehr Sinn ergeben, als dass alles nur Zufall sein könnte.

Und wer beginnt, alle Ereignisse aus der Perspektive von Prozess und Entwicklung zu betrachten, fängt schließlich an, das Leben in seiner ganzen Tiefe zu verstehen.

Chaos als Katalysator

Wenn wir den Sinn im Leben in Prozess und Entwicklung sehen, ist ein Ereignis wie unsere Corona-Odyssee etwas, auf das wir uns in Ruhe einlassen können. Es ist dann nicht mehr die Frage:

„Warum musste das jetzt passieren?“, „Was haben wir falsch gemacht?“ oder „Wer ist schuld?“
sondern vielmehr: „Was löst es in uns aus?“, „Welche Prozesse werden dadurch angestoßen?“ und „Wie wachsen wir damit?“

Wir erkennen in unvorhergesehenen und chaotischen Ereignissen besonders tiefgehende Situationen und spüren, wie sehr wir gefordert sind, damit zu arbeiten. Das bedeutet, uns von der Situation und den Gefühlen wirklich berühren zu lassen - und nicht einfach auszuweichen. Dadurch werden solche Situationen zu wertvollen Impulsen und sind oft Katalysatoren für wichtige Prozesse.

Das heißt nicht, dass es für uns nur noch leicht wäre, wenn uns schwierige Ereignisse unerwartet treffen. Auch wir sind mit Corona stark gefordert - genauso wie mit den Wildfeuern, die unser Zuhause bedrohen, oder Ramóns gesundheitlicher Situation mit der drohenden Erblindung. Den tieferen Sinn in allem zu erkennen bedeutet nicht, alles gut zu finden, was passiert. Es bedeutet, sich von allem berühren zu lassen und mit allem zu wachsen.

Die grösste Veränderung

Was sich daraus ergibt, ist eine tiefe Ruhe und Geborgenheit. Eine Stille aus sich selbst heraus und ein unvergleichlicher Frieden mit dem Leben selbst.

Den tieferen Sinn in allem zu erkennen und das Leben als Prozess zu verstehen, ist wahrscheinlich die größte Veränderung, die man erleben kann. Es ist ein völlig anderes Sein, das Leben in seiner Tiefe zu verstehen – oder eben nicht. Und das Wachstum, das daraus entsteht, wenn man sich wirklich auf die Prozesse einlässt und sich von allem berühren lässt, führt zu Veränderungen, die so groß sind, dass man sie sich vorher kaum vorstellen kann.

Denn wenn man sich ganz auf die Prozesse einlässt, die eigentlich immer schon geschehen möchten, verändert man sich bis in die tiefsten Fasern des eigenen Seins – und die Freiheit, die daraus erwächst, ist unermesslich.

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